«Wir müssen dem Velo den roten Teppich ausrollen!»

    Im Corona Jahr 2020 wurden in der Schweiz 500’000 Velos verkauft. Die Anzahl verkaufter Velos hat gegenüber dem Vorjahr um 38 Prozent zugenommen. Jedes dritte Velo war ein Elektrovelo. Grund genug, um mit Jürg Buri, Geschäftsführer Pro Velo über das Zukunftspotenzial des Velos zu sprechen. Ohne können gemäss Buri die Klimaziele 2050 nicht erreicht werden. Er strebt eine Vervierfachung des Veloverkehrs in urbanen Zonen an.

    (Bild: zVg) Für Jürg Buri, Geschäftsleiter von Pro Velo, muss das Velo auf kurzen Strecken bis zu 10 Kilometer zum Fahrzeug Nummer Eins werden.

    Wo ist der markante Zuwachs zu verzeichnen?
    Jürg Buri: Es wurden tendenziell mehr Sportvelos nachgefragt als Freizeitvelos – dies gilt für Bio-Bikes und für E-Bikes.

    Hängt die neue Lust am Velo direkt mit der Pandemie zusammen oder was sind die Gründe dafür?
    Das Velo war bereits vor Corona auf dem Vormarsch. Im Vorvorjahr (2019) wuchs der Markt um 5 Prozent. In den letzten Jahren war das Marktwachstum vor allem durch die E-Bike-Verkäufe getrieben. Im Corona Jahr haben die Bio-Bikes jedoch wieder gleichgezogen. Die Pandemie hat dem Velo definitiv einen Schub verliehen. Aber die Erfolgswelle des Velos hat bereits vor Corona eingesetzt. Immer mehr Menschen setzen insbesondere in den Städten auf das schnellste und umweltfreundlichste Fahrzeug. Dieser Trend wird sich fortsetzen.

    Hat Corona die Bedeutung des Velos verändert?
    Corona ist ein Fenster für die Zukunft und zeigt uns, welches Zukunftspotential in diesem Fahrzeug steckt. Den Boost aus der Virenkrise müssen wir nun auf die Klimakrise übertragen. Insbesondere auf der kurzen Strecke bis 10 Kilometer muss das Velo das Fahrzeug Nummer Eins werden.

    Sie fordern beim Wegnetz Verbesserung. Wie sollen diese Optimierungen denn konkret aussehen?
    Mehr Velofahrende brauchen schlicht mehr Platz. Wir müssen unsere Städte neu denken und das noch immer regierende Primat des Autos hinter uns lassen. Velos brauchen wo immer möglich, separate und sichere Fahrspuren, breitere Velostreifen mit Überholmöglichkeiten und in den Zentren muss flächendeckend Tempo 30 eingeführt werden. Wir müssen dem Velo den roten Teppich ausrollen und viel mehr Mittel in sichere Veloinfrastruktur investieren.

    Die SBB will in allen Intercity-Zügen am Wochenende eine Reservationspflicht für den Veloselbstverlad einführen. Damit wird die Velomitnahme teurer und komplizierter. Wie reagieren Sie auf diese nicht gerade sehr velofreundliche Massnahme der SBB?
    Wir erachten diese erweiterte Reservationspflicht als Schikane. Sie widerspricht dem Gebot einer modernen kombinierten Mobilitätszukunft, wie sie übrigens auch vom Parlament politisch gefordert ist. Die SBB muss ihre Wagen umbauen und mehr Platz für Velos und Kinderwagen schaffen, anstatt mit Reservationspflichten uns Velofahrer/innen zu vergrämen. Die Velomitnahme ist im europäischen Vergleich bereits heute zu teuer. Aber der Aufpreis ist nur das eine. Viel schlimmer ist das noch kompliziertere Ticketing und vor allem die nicht garantierbaren Plätze. Die Kakofonie zu Spitzenzeiten ist vorprogrammiert.

    Am 1. Januar sind zahlreiche neue Verkehrsregeln in Kraft getreten. Für die Velofahrenden zum Beispiel das Rechtsabbiegen bei Rot und das Fahren auf dem Trottoir für Kinder bis 12 Jahre. Sie fordern jedoch weitere Anpassungen des Verkehrsrechtes?
    Ja. Abbiegen bei Rot ist ein wichtiger Fortschritt. Wir Velofahrer/innen stehen immer wieder vor Rotlichtern, die keinen Sinn machen und unser Fortkommen unnötig behindern. Wichtig für unsere Sicherheit ist zudem ein adäquater Überholabstand und keine parkierten Autos mit aufspringenden Autotüren am rechten Strassenrand. Auch viele Kreuzungen und Kreisel sind zu verbessern und es braucht Velostrassen mit Vortritt fürs Velo.

    Sie wollen das grosse Potential des Veloverkehrs weiter ausschöpfen. Wo sind hier die grössten Herausforderungen?
    Geld, Verstand und Herz. Wir brauchen dringend mehr Geld, um unsere Strassen und Städte umzubauen. Wir brauchen intelligente Städteplaner/innen und Verkehrsingenieur/innen, welche das Auto zurückdenken und das Velo hineindenken können. Dann müssen auch wir Mobilitätsjunkies lernen, ein gelingendes Leben mit weniger Kilometern zu leben. Kurze Distanzen machen wir am besten mit dem Velo, lange Distanzen mit dem Zug. In meiner Stadt haben bereits über 50 Prozent kein Auto mehr. Dieser Trend wird sich auch aus klimapolitischer Notwendigkeit fortsetzen.

    In unseren Städten sind im besten Fall 20 Prozent der Menschen mit dem Velo unterwegs. Sie möchten das noch steigern. Welche Absicht steckt dahinter?
    Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir unsere Städte bist 2050 auf Netto Null CO2 trimmen. Dies geht nicht ohne viel mehr Velo. Deshalb muss das Velo auf der kurzen Strecke (<10 Km) zum Fahrzeug Nummer Eins werden. Das heisst Verdoppelung bis Vervierfachung des Veloverkehrs in den urbanen Zonen. Das ist realistisch. Unsere europäischen Velohauptstädte im Norden sind schon fast bei diesem Ziel angelangt. Weiter müssen wir auch den Wirtschaftsverkehr nach und nach auf Cargobikes umstellen. Dieses neue Zeitalter hat gerade erst begonnen und es wird schnell gehen. Mein Malermeister kommt bereits mit dem Cargobike vorbei.

    Velofahren ist volkswirtschaftlich gesehen ein Gewinn. Während der Autoverkehr mit 10 Milliarden ungedeckten Kosten zu Buche schlägt, ist jeder gefahrene Velokilometer ein volkswirtschaftlicher Mehrwert. Wir Velofahrer/innen sparen Umweltkosten, Gesundheitskosten, Platz- und Infrastrukturkosten. Deshalb ist die Veloförderung nicht nur ein klimapolitisches Gebot, sondern auch für uns als Gesellschaft ein echter Gewinn. Und Velofahren macht zu alledem auch noch Spass und innerlich wie äusserlich schön.

    Wie wird sich die Velobranche weiter entwickeln und welche Pläne verfolgt dabei Pro Velo?
    Das Velo wird seinen Siegeszug in unseren Städten fortsetzen, sei es im Alltagsverkehr sowie auch im Cargobereich. Aber auch der Freizeitbereich wir wachsen. Damit wird auch die Velobranche zulegen. Pro Velo unterstützt diese Verkehrswende auf allen politischen Ebenen. Unsere Regionalverbände sind auf kommunaler und kantonaler Ebene aktiv. Wir im Generalsekretariat kümmern uns auf nationaler Ebene um die Anliegen der Velofahrenden. Neben der Politik betreiben wir verschiedene Veloförderprojekte an Schulen (bike to school), mit Firmen (bike to work) und in Gemeinden (cyclomania). Wir veranstalten beliebte Velobörsen, Velofahrkurse für Jung und Alt, Tagungen und velokulturelle Anlässe. Immer nach dem Motto: ride today – save tomorrow!

    Interview: Corinne Remund


    Pro Velo
    Der Verein Pro Velo Schweiz hat rund 35 Regionalverbände in der Deutsch- und Westschweiz sowie im Tessin. Pro Velo setzt sich ein für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Velofahren in Alltag und Freizeit. Das Velofahren soll sicher, attraktiv, rasch und direkt sein. Zentrales Anliegen von Pro Velo ist auch die Erhöhung der Zahl der Velofahrenden, der zurückgelegten Wege und der gefahrenen Kilometer (Veloförderung).
    wwww.pro-velo.ch

    Vorheriger ArtikelMiteinander am selben Strick ziehen
    Nächster ArtikelWachstum – clever und nachhaltig