Erst Wellness, jetzt Selfness, und dann…?

    (Bild: zVg) Eric G. Sarasin

    Shitstorm, Vintage, Follower, Download, Sale, Coffee to go: Zunehmend schleichen sich Anglizismen (häufig auch inkorrekt verwendet) in den deutschen Wortschatz ein. Vor allem bei den Jungen oder speziell in der Finanzbranche sind Wörter wie cool, fuck, deferred bonus, sneaker, downtown etc. an der Tagesordnung und es werden gefühlt täglich mehr. Aber nicht nur Begriffe übernehmen wir aus dem Englischen, selbst Feiertage und andere Anlässe werden neuerdings hier-zulande zelebriert. Vor allem aus den USA kommt dieser Einfluss, wie kürzlich der «Black Friday» gezeigt hat, eine noch recht junge «Tradition» in unserem Kulturkreis im Vergleich zu Festen wie Thanksgiving, Halloween oder dem Valentine’s Day, die schon seit längerem Einzug gehalten haben. Ob diese kulturelle «Eroberung» durch die USA gut ist, sei dahingestellt. Hauptsächlich profitieren doch wohl offensichtlich die Händler und Ladenbesitzer von dieser neuen Tendenz.

    Anglizismen in der deutschen Sprache rufen bei uns unterschiedliche Emotionen hervor. Die einen regen sich permanent darüber auf, andere sehen es gelassen, denn schliesslich ist die Sprache in einem stetigen Wandel. Machen wir uns doch nichts vor, ohne Anglizismen geht es nicht, vor allem in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und den sozialen Medien. Innovative Dinge und neue Erfindungen werden deshalb oft englisch benannt, schliesslich gibt es (noch) keine deutsche Entsprechung dafür oder es finden sich keine überzeugen-den Wörter in der deutschen Sprache.

    Anders ist es mit dem englischen Wort «Wellness», welches schon seit Längerem im deutschen Sprachgebrauch ist, und nicht nur in viele Bevölkerungsschichten, sondern auch in den Duden Einzug gehalten hat – obwohl bei dessen Verwendung im Gespräch mit einem englischen Muttersprachler sich höchstwahrscheinlich ein riesiges Fragezeichen in dessen Gesicht abzeichnet. Auf Englisch bedeutet «Wellness» ganz einfach Wohlbefinden und in einer normalen englischen Konversation hört man dieses Wort kaum. Hierzulande ist es jedoch sehr populär und omnipräsent und diese Tatsache versetzt englische Muttersprachler in Erstaunen. Man hat es schwer ihnen verständlich zu machen, dass man hierzulande dar-unter sämtliche Wohlfühlangebote versteht, die für Entspannung sorgen, sei es im Rahmen der bewussten Ernährung, des autogenen Trainings, Massa-gen, kosmetische Behandlungen oder Bädern. Und dafür gibt es sogar Wellness-Hotels, die Wellness-Packages und obendrein gesunde Wellness-Meals anbieten.

    Ein anderer aus dem Englischen stammender Begriff ist «Work-Life-Balance», der für den Einklang von Arbeits- und Privatleben steht. Was haben wir nur gemacht, als uns diese englischen Ausdrücke noch nicht zur Verfügung standen? Wir haben dieses Wohlgefühl bei einer Aktivität umständlich umschrieben und versucht zu erklären, was wir dabei empfinden, damit das Gegenüber irgendwie versteht, worum es geht. Nachdem die Well-ness jetzt definiert ist und sich viele Institute dieses Themas annehmen, gibt es keine Ausrede mehr (vorausgesetzt, die finanziellen Mittel sind vorhanden) sich zu trimmen und zu pflegen, dies nicht nur, um gut auszusehen, sondern vor allem, um sich gut zu fühlen. Von den Jungen bis zu den Alten: Wellness zieht sich durch alle Altersgruppen und Schichten.

    Während die einen noch am wellnessen sind, haben andere bereits das selfnessen entdeckt. Der Trendforscher Matthias Horx prägte den Begriff Selfness erstmals 2004 und nun ist er mitten in unserer Gesellschaft angekommen. Offenbar stösst die Wohlfühllehre Well-ness an ihre Grenzen und es besteht neben der Kultur der Entspannung das Bedürfnis, nun auch sich selbst zu verändern. In unserer globalen Welt, wo das Internet und die sozialen Medien überhandgenommen haben und man meint, sich ständig informieren und organisieren zu müssen, stellt Selfness einen Gegenpol dar. Einige Hotels, wie das Eiger Selfness Hotel in Grindelwald, haben den Trend längst erkannt und bieten entsprechende Selfness-Packages an.

    Welchen Redewendungen – ob ein Anglizismus oder erfunden – wir Einlass in unsere Sprache gewähren, entscheiden wir, die Sprachgemeinschaft, indem wir sie permanent repetieren und wiederverwenden. Wenn nun nach der Wellness und der Selfness die nächste noch zu erfindende oder im Englischen bereits existierende «-ness» kommt, haben wir die Möglichkeit sie willkommen zu heissen oder ihr die Tür einfach vor der Nase zuzuschlagen.

    Eric G. Sarasin


    ZUR PERSON

    Eric G. Sarasin ist Inhaber seiner Familienfirma «White Sail Consulting AG», von welcher er aus verschiedene Verwaltungsratsmandate inne hat, in Unternehmen investiert und Jungfirmen berät. Er ist in diversen wohltätigen Organisationen aktiv, wie bei der Krebsliga beider Basel, der Stiftung «Race for Water» und in mehreren Stiftungsräten.

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